Auf dem Flug nach Japan  wurden unsere Erwartungen in Sachen Kirschblüte vollends in die Tonne getreten. Carmens Sitznachbarin erzählte uns, dass sie mit ihrer Schwester in Tokio telefoniert habe, die berichtete, dass ein starker Regen am Vortag alle Kirschblüten von den Bäumen gefegt hätte. Da der Regen die ganze Küste erfasst habe und Kyoto nicht so weit weg ist und zudem noch südlicher liegt als Tokyo, sollten wir uns darauf einstellen, dieses Ereignis leider verpasst zu haben. Wir schauten reflexartig auf die Kotztüten vor uns, ließen es dann aber sein und gaben die Hoffnung nicht auf. Irgendwo in diesem Land würden wir einen Kirschbaum finden und wenn auch nur noch eine Blüte dran war, würden wir darunter unsere blaue Plane aufschlagen, Hanami feiern und zufrieden sein.

Als wir in Kyoto ankamen war es Abend  – und das Wunder begann. Nachdem wir unser Apartement bezogen hatten, kam unser über 80-jähriger, an Liebenswürdigkeit kaum zu übertreffender Gastgeber zu uns. In allerbestem Englisch – er war früher Polizist in Sachen straffällig gewordener Ausländer und gibt heute Englischunterricht für Senioren – hieß er uns zunächst ausführlich willkommen, wies uns in die technischen Raffinessen des Apartments ein und zeigte sich ernsthaft darüber besorgt, ob die Tatamimatte nicht vielleicht etwas zu hart für uns sein könnte. Wir erlösten ihn von all seinen Sorgen und bedankten uns ebenso ausführlich dafür, wie toll alles für unsere Ankunft hergerichtet war.

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Er wollte sich schon verabschieden, da schien ihm noch etwas wichtiges einzufallen. Ob wir wüssten, was es mit der Kirschblüte auf sich hätte. Wir brachten nicht mehr als ein stummes Nicken zustande. Und dann sagte er die magischen Worte, die in etwa so gingen: Also, da hätten wir unwahrscheinliches Glück, es sei gerade jetzt wunderschön, da die vollen Blüten begannen einem Schneesturm gleich zu Boden zu rauschen. Nachdem er den dicken Stein von unseren Herzen kullern hörte, ließ er es sich nicht nehmen, uns sogleich persönlich zum nächsten Fluss zu bringen – den in Sachen Kirschblüte seines Wissens nach schönsten Ort Kyotos. Zum Thema Vergänglichkeit fand er folgende Worte, bevor er uns nach einer tiefen Verbeugung zu unserem ersten Abendspaziergang entließ: „Go there today and tomorrow, maybe even the day after tomorrow – then, everything fades away.“

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Ja, was sollen wir sagen, was soll man da auch sagen? Da sagten wir zwei Glückshasen einfach mal nichts, nahmen uns an den Händen und denken, dass ihr jetzt vor Rührung schon mindestens ein dutzend Taschentücher vollgeschnieft habt.

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Unser Heim lag nur wenige Meter vom Fluss entfernt, so dass wir jeden Tag durch diese himmlische Pracht spazierten. Denn vom nördlichen Higashiyama war es nur einen Katzensprung zum berühmten Gion-Viertel und da brauchten wir nur unserem Fluss zu folgen und fanden nach Hause.

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Frauen in Kimonos sind im Stadtbild Kyotos oft zu sehen – und jedesmal eine Augenweide.

Kyoto ist das traditionelle und kulturelle Zentrum Japans und so verbrachten wir die kommende Woche damit, ausgiebig kreuz und quer von einem Highlight zum nächsten zu laufen. Die anmutige Ästhetik von nahezu allem war schlichtweg überwältigend. Wie berauscht bewunderten wir alles, die Reisschüssel vor uns, die vielschichtig dünnhäutige Architektur, die kunstvolle Bewegung der Frauen in ihren Kimonos, die Ruhe an einem vollen Gleis, die ausgeklügelt schönen Gärten, und immer wieder die Kirschblüte, die Kyoto nach und nach in den Schneesturm verwandelte, von dem am ersten Tag die Rede war. Und natürlich feierten wir Hanami, die Betrachtung der Kirschblüte. Mit einem 1a Picknick im Gepäck stapften wir in den Park zu einem Baum, den wir am Vortag ausgekundschaftet hatten und ließen die blaue Plane flattern. So ähnlich wie diese Gesellschaft hier:

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Sehr beeindruckt haben uns auch die Geishatänze. Diese Tänze finden nur im April statt, um auf rituelle Art den Frühling zu begrüßen. Wir kauften uns die besten Karten der Stadt, kramten nach Klamotten, denen man die strapaziösen Laundrys Südostasiens nicht so ansah und ließen uns von den Musikerinnen und Tänzerinnen mitnehmen. Der feine Gesang und das Zittern der japanischen Laute verbanden sich mit den fast 80 Tänzerinnen zu einer zierlichen Pracht, die nur so dahin schwebte. Jede Geste, jeder Finger während einer Geste war Kunst, jede Drehung und Verbeugung ein Akt.

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Bambusheine sind ein Phänomen für sich – ihr spitzes Rauschen und ihre klare Form sind ein Genuss. Wir besuchten einen in der Nähe von Kyoto.

Hier haben wir auch den „Affenberg“ erklommen und zum ersten mal wilde Schneeaffen gesehen (ein Affenfoto wird noch in dem geplanten Beitrag „seltene Tiere“ erscheinen, zusammen mit den Delfinen, dem Wal und einem Kiwi). Einen Eindruck, wie es in Japan um die englische Sprache steht, gibt dieses Foto, über das wir nicht nur auf dem Weg zum Gieinen immer mal wieder lachen mussten:

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Ja, ihr merkt schon, unsere Reisemüdigkeit war verflogen, wir waren wieder voll da. Die Japaner machten es uns aber auch leicht. Wann immer wir auf unserer Japan-Reise mit kontroversen Minen in unseren Stadtplan schauten, unsere Pirouetten auf den Gängen der U-Bahn drehten oder stirnrunzelnd vor dem Parkautomaten standen – es dauerte keine 30 Sekunden und ein Passant blieb stehen und frage, ob er uns helfen könne. Einfach so, ohne uns dabei betrügen zu wollen, das war schon phänomenal. Nun gut, mit der Verständigung auf Englisch war das manchmal so ne Sache, da war man mit internationaler Zeichensprache (die Carmen von ihrem Vater gelernt hat) schon besser dran. Ging es darum den Weg zu finden, so war die Reaktion meist die, dass man uns den gesamten Weg(!) bis zum Ziel einfach begleitete. Als uns das wiederholt widerfuhr, beschlossen wir, alle Japaner, die uns jemals nach dem Weg fragen würden, zu bringen. Manchmal half aber auch keine internationale Zeichensprache weiter, da half einfach nur: lächeln. Wir haben viel gelächelt. So zum Beispiel im Supermarkt, denn für zwei Vegetarier ist das nicht sooo einfach, wenn die Verpackungen so ganz ohne lateinische Buchstaben auskommen. Unsere Lösung war ein Zettel, auf dem in japanisch steht, dass wir Vegetarier sind, was wir essen und was nicht usw. Mit beiden Händen überreicht kam das auch im Restaurant ziemlich gut an, schließlich zeigte es, das wir vorbereitet waren und uns daran gelegen war, unangenehme Situationen zu vermeiden. Zusammen mit ein paar japanischen Worten aus der Höflichkeitskiste und unseren ziemlich eleganten Verbeugungen machten wir nicht den schlechtesten Eindruck, hofften wir zumindest. Vielleicht waren wir aber auch die totale Katastrophe, man weiß es nicht, denn davon würde man nie was merken, dafür sind sie einfach zu höflich, die Japaner.

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Überrascht und jedes mal gerührt waren wir auch, als wir immer mal wieder beschenkt wurden. Von unserem Gastgeber (ein Ding für den Schlüsselbund, das einem, nachdem man es geschüttelt hat, sagt: gute Entscheidung, weniger gute Entscheidung,  usw. … schlechte Entscheidungen gibt es im japanischen nicht), von seiner Tochter gabts einen traumhaften Kimono zu einem symbolischen Preis aus der privaten Sammlung (er hatte ihr erzählt, dass ich auf der Suche nach einem bin und rief sie an, um nach einer Empfehlung zu fragen), von zwei Touristen ihre Tageskarten für die U-Bahn, ein Gast in einem Onsen hatte für uns gleich eine ganze Tüte voller Geschenke gepackt (einen Stift, der in sechs verschiedenen Farben leuchten kann, einen Schminkspiegel von Micky Mouse, sein Lieblingskalenderblatt mit Kirschblüten drauf, ein Wimpel mit Fischen, alles originalverpackt) und von einer Kaffeehausbesitzerin gabs selbstgemachte Fotos und kleine Briefumschläge. Das sollte auf den Campingplätzen so weiter gehen, aber hiervon später mehr. Mit vollen Taschen und Herzen gings weiter nach Tokyo und zwar mit dem Shinkansen, einem japanischen ICE-Pendant – sehr schnell.

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Ach so, zwei Eintrittskarten für die Besichtigung eines traditionell japanischen Hauses bekamen wir auch geschenkt – von einer Seniorenstudentin unseres Gastgebers. Die Karten waren mit der Empfehlung verbunden, abends hinzugehen, dann sei es schön leer und alles toll illuminiert. So wars auch.

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Nennen wir es mal eine japanische Terrasse  – auf sinnesverwirrende Weise mischen sich hier Innen- und Außenraum. Keine Wände, außer die im Rücken, aber ein tiefes Dach, kein Glas, dazu die perfekte Natur. Man hat das Gefühl, als wäre man in einem Aquarium, oder davor? Eine ganze Weile saßen wir hier oder lagen an der Kante und tranken dabei eine Flasche Wasser.